Seite 22 - Bruggbeckle

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man Küchenmesser schleift und dann mit dem Abzieh-
stein behandelt. Er erklärt, wie tief die Tulpenzwiebeln
gesteckt werden müssen und wie weit die Kartoffeln
beim Anbauen auseinander sein müssen. Er kann eine
Steckdose eingipsen und eine elektrische Leitung ver-
legen. Er kann Hühner schlachten und Maulwürfe im
Garten fangen.
Er erzählt nie von früher, auch sagt er nicht, dass es da-
mals schöner gewesen wäre oder gar schlechter. Jeden
Abend geht er an das Barometer, klopft leicht mit dem
Knöchel des Mittelfingers an das Glas und erkennt so-
fort, in welche Richtung die dunkelblaue Nadel ruckar-
tig ausschlägt. Anhand dieses winzigen Rucks macht er
dann sein eigenes Wetter, immer zwei Tage im Voraus.
Dazu braucht er keinen Fernseher und kein Radio, denn
seine Voraussage stimmt meistens zu neunundneunzig
Prozent.
So ein Großvater ist alterslos, für die Enkelkinder war
er nie jünger und wird auch nicht älter. Hin und wie-
der fällt ihm ein altes Spiel aus seiner Jugend ein und
manchmal findet er auf dem Dachboden noch altes
Spielzeug, das bei den Enkeln genauso gut ankommt,
als käme es gerade vom Spielzeugladen.
Wenn er durchs Dorf geht, begrüßt er seine alten Weg-
gefährten und hat immer eine Anekdote parat. Der Tod
berührt ihn schon, denn wenn er morgens die Zeitung
aufschlägt, schaut er zuerst hinten die Todesanzeigen
durch, tauchen dann öfter seine Jahrgänge auf, dann
seufzt er: „Die Einschläge kommen immer näher.“
Man sollte „ruckartig“ und schnell sterben können und
nicht lange leiden müssen, ist der Wunsch vieler Groß-
väter. Aber er weiß genau, dass alles in Gottes Hand
liegt. Seinen Hausarzt lobt er, denn dieser hat ihn bis
jetzt immer wieder gut hergerichtet, und mit dem Zahn-
arzt hat er schon längst nichts mehr zu tun.
Wo er seine Haare und seine Fußnägel schneiden lässt,
erfahren nicht einmal seine nächsten Angehörigen und
bis jetzt hat ihn noch niemand beobachtet, wenn er sich
morgens um sechs Uhr rasiert. Er sieht immer gepflegt
und sauber aus.
Seine verstorbene Frau war eine Naturschönheit, aber
er gibt heute unumwunden zu, dass sie heute mit den
hübschen Frauen im Fernsehen nicht mehr mithalten
könnte. In dieser Beziehung würde er schon gerne noch-
mal vierzig Jahre jünger sein, alles andere kann man ge-
trost vergessen, meint er.
Manchmal gibt er seiner Tochter Spartipps, entweder
beim Kochen oder beim Bügeln und dann freut er sich,
wenn sie nach dem Herausziehen des Bügeleisenste-
ckers noch fünf Hemden geschafft hat.
Jetzt dümpeln die Jahre so ins Land und es ergeht ihm
wie allen Großvätern vor ihm. Eines Tages sitzt er nicht
mehr mit seiner Pfeife auf der Küchenbank, sondern
hat seine ewige Ruhe auf dem Friedhof gefunden.