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Die weißen Sklaven
Jeder, der in der Nachkriegszeit in den Jahren von 1945
bis 1955 in einer Bäckerei gearbeitet hat, wird mir bei
diesen Zeilen kopfnickend zustimmen und sein „genau
so war's“ murmeln.
Als ich Anfang der fünfziger Jahre in einer Münchener
Bäckerei arbeitete, um meine Konditoreikenntnisse zu
erweitern, musste ich in aller Frühe auch den Bäckern
helfen, weil in der Backstube Personalmangel herrschte.
Zu dieser Zeit gab es in München, wie auch in anderen
Großstädten, Hunderte von Kellerbäckereien.
Die Backstube war ein dunkles Kellergewölbe und
nur durch Lichtschächte an den Fenstern mit der
Außenwelt verbunden. Über diesem Keller stand meis-
tens ein dreistöckiges Wohnhaus und im Dachboden
waren die kleinen Kämmerchen fürs Personal. In der
Backstubenmitte brannte als einzige Beleuchtung den
ganzen Tag eine Hundert-Watt-Birne und vom großen
Backofen her war es unerträglich heiß. Der Mehlstaub
flimmerte, wenn er sich mit dem Dampf vermischte,
und es verklebten die Augen und die Nase.
Wir waren sechs Bäcker, drei jüngere und drei ältere,
dann noch der Meister und sein Sohn. Die Arbeit riss
den ganzen Tag nicht ab, jeder kannte den Arbeitsab-
lauf und es lief oft stundenlang ohne Kommando und
ohne viel Reden. Doch manchmal schlich sich ein Fehler
in die Produktion und der ganze Ablauf stockte. Entwe-
der streikte eine Maschine oder man hatte das Nachhei-
zen übersehen, auch ein Rohstoff konnte plötzlich zu
Ende gehen. Jetzt war das Geschrei groß, der Meister
musste her.
Er kam im weißen Mantel die Kellertreppe herunter-
gestürmt und schrie wie ein Feldwebel, was er denn für
Ochsen eingestellt hätte, die nicht einmal eine Maschi-
ne reparieren könnten, und übrigens seien wir die ver-
schlafenste Mannschaft von ganz München. Er schob
die zwei Brezenmacher am Arbeitstisch zur Seite und
demonstrierte, dass er zwei Brezen machen könne, wäh-
rend der Obergeselle nur eine fertigbrächte, was ihm
auch spielend gelang.
Dann behob er den Fehler, stieß ein paar saftige Flüche
in das Kellergewölbe, drehte noch drei, vier Runden mit
offenemMantel durch die Backstube und verschwand wie
ein sturmgebeuteltes Segelboot auf der Kellertreppe. Jetzt
waren alle froh und trotz der manchmal widersprüchli-
chen Meinungen hielten wir in solchen Situationen immer
zusammen und waren sozusagen aus einem Guss.
Wenn Oktoberfestzeit war, wurden immer riesige Men-
gen Brezen produziert, denn wir belieferten das Schot-
tenhammelzelt, und jetzt standen vier Mann ständig am