Seite 35 - Bruggbeckle

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Arbeitstisch und drehten die Bierzeltbrezen. Zwei waren
ständig am Backofen mit Brezenschießen beschäftigt, sie
tauchten die abgesteiften Brezen in die scharfe Natron-
lauge, diese spritzte ins Gesicht und auf die nackten Ze-
hen, die aus den Sandalen schauten. Sie war so scharf,
dass sich die Fingernägel und Fingerkuppen dunkelgelb
verfärbten und sie brannte den ganzen Tag auf der
Haut wie Feuer. Benutzte man Gummihandschuhe oder
Gummifinger, wurden diese weich und brachen nach
kurzer Zeit durch.
Trotzdem nahm das Brezenbacken den ganzen Tag kein
Ende. Schaute man einmal kurz in den Fensterschacht
und oben durch das Gitter, dann merkte man, dass es
schon wieder Abend wurde. Ein Zwölf- bis Vierzehn-
Stunden-Tag war selbstverständlich und die einzigen
freien Stunden waren eigentlich nur am Sonntag, doch
auch da musste man abends wieder Sauerteig anrühren
und den Backofen aufheizen.
Die Herren Konditoren arbeiteten im Erdgeschoss und
sahen durch das Fenster in den Hinterhof hinaus. Sie
waren scheinbar etwas Besseres und ließen sich das auch
anmerken. Denn wenn wir allwöchentlich abends in die
Schneider-Weißbierhalle gingen, setzten sie sich an ei-
nen anderen Tisch und wollten mit den gewöhnlichen
Brot- und Semmelbäckern nichts zu tun haben. Sie
standen auch nicht um drei Uhr auf, sondern erst um
fünf Uhr, dann zogen sie schnell ihr Programm durch
und waren oft mittags schon fertig.
Wenn wir dann um Mitternacht von der Schneider-
Weißbierhalle in Richtung Bäckerei wankten, war die
Nacht sehr kurz und jetzt mussten wir noch den Sauer-
teig für das Roggenbrot am kommenden Tag vermehren.
Eigentlich wollte ich meine Konditoreikenntnisse ver-
vollkommnen, doch immer wieder holte man mich aus
der Konditorei in die Kellerbackstube.
Es war eine ehrliche und freundliche Mannschaft und
irgendwie bewunderte ich diese abgearbeiteten hageren
Gestalten, die den ganzen Tag in ihrem durchschwitz-
ten Achselschlusshemd, mit gekrümmtem Rücken und,
je nach Veranlagung, X- oder 0-Beinen vom langen Ste-
hen, immer fröhlich die Bierflasche mit Bügelverschluss
in der linken Hand und den Brotschießer in der rechten
den neuesten Witz parat hatten.
Es gab in den Backstuben eine genau geregelte Hier-
archie. Es begann oben beim Chef, dieser verhandelte
nur mit dem „Schießer“, erster Geselle und Ofenar-
beiter. Diesem untergeordnet war der „Mischer“, der
die Mehlmischungen in der großen Knetmaschine zu
Teigen knetete. Dann kamen die „Postler“, das waren
die teigverarbeitenden Gesellen, sie formten Wecken,
Brezen, Zöpfe, stüpfelten Kaisersemmeln und roll-
ten Hörnchen. Zuunterst waren die beiden Lehrlin-
ge, sozusagen lebende Mülleimer. Denn schlich sich
irgendwo ein Fehler ein, ging die Schuldzuweisung von
oben nach unten und blieb bei den Lehrlingen hängen.
Diese konnten sie nicht mehr weitergeben und sich nicht
wehren und verzweifelten fast. Doch eines Tages ließen
die Lehrlinge die ganze Lawine von unten nach oben
rollen. Sie weihten mich in ihren Plan ein und ich gab
mein O.K.
Wollte ich alle Streiche der Lehrlinge aufzählen und
niederschreiben, müsste ich meinen Kugelschreiber
bis weit ins Jahr Zweitausend stechen. Diese Streiche
brachten Abwechslung in den langen Arbeitstag und