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Eine tödliche Floßfahrt
Auch bei Hochwasser wurde in Lechbruck die Flößerei
betrieben. Vor allem zur Zeit der Schneeschmelze und
nach lang andauernden Regenfällen herrschte an den
Floßbindeplätzen Hochbetrieb. Bei Hochwasser konnte
man die längsten Baumstämme verwenden, denn jetzt
konnte man mühelos die niederen Kiesbänke überfah-
ren und die Flussbiegungen schneiden. Es war höchst
selten, dass bei Hochwasser ein Floß auf einer Kiesbank
strandete. Bei der Floßbreite waren allerdings Grenzen
gesetzt, es durfte nur so breit sein, wie die ziemlich eng
stehenden Brückenpfeiler der Schwabstadler Brücke es
zuließen.
Gefährlich wurde es bei hohem Wasserstand hauptsäch-
lich an den Wehren. Hier mussten die Flößer höchste
Aufmerksamkeit walten lassen, denn ein falscher Hand-
griff konnte schon tödlich sein. Die dunkelbraunen
Hochwasserfluten schoben so ein zwanzig Meter langes
Floß wie ein Spielzeug vor sich her und degradierten die
vier kantigen Männer zu Statisten.
Einmal mühten sie sich an ihren Rudern vergeblich, die
Richtung einzuhalten. Da befahl der Floßführer:
Lasst die Ruder los und lasst es einfach rinnen, das Floß
wird auch ohne unser Zutun die Fahrtrinne finden.
Wenn die Fahrt reibungslos vor sich ging, brauchten die
Flößer von Lechbruck nach Augsburg zehn Stunden,
nach Marxheim fünfzehn und nach Ingolstadt neun-
zehn Stunden.
Der Augsburger Hochablass war für die Lechflößer im-
mer wieder eine nicht zu unterschätzende Gefahrenstelle.
Eine Vierermannschaft fuhr im Jahre 1903 mit einem
schwer mit Holz beladenen, zwanzig Meter langen Floß
lechabwärts. Die vier waren eine eingespielte Mann-
schaft, und der Lech führte wieder einmal Hochwasser.
Das Schongauer, das Kinsauer und verschiedene andere
kleinere Wehre durchfuhren sie ohne Zwischenfall.
Als sie aber ans Landsberger Wehr kamen, standen schon
viele neugierige Gaffer auf der Landsberger Brücke und
wollten sich das Schauspiel nicht entgehen lassen.
Immer schneller näherten sie sich diesem tosenden und
gischtschäumenden Höllenschlund. Mit höchster Auf-
merksamkeit und wagemutigem Manöver hielten sie
genau den
Stromstrich
ein. Dann schoss das Floß mit
einem Krachen in die Tiefe.
Nach bangen Minuten sah man, wie sich das Floß aus
dem Kehrwasser des Wehres erhob. Alle vier hatten das
flößerische Kunststück überstanden. Das Floß kreiste
noch ein paarmal im Kehrwasser, dann nahm es wieder
Fahrt lechabwärts auf. Die Zuschauer hatten ihr Schau-
spiel gehabt und applaudierten.
Die Fahrt wurde immer schneller, und der Hochablass
war nicht mehr weit. Am Hochablass war die blaue
Flagge aufgezogen, was bei Hochwasser immer der Fall
war. Also mussten sie jetzt auf die Floßgasse zusteuern.
Die beiden kräftigsten Floßführer übernahmen die vor-
deren Ruder und ruderten aus Leibeskräften, um das
Floß zwischen die beiden Betonsockel am Eingang zu
dirigieren. Doch so ein tonnenschweres Floß reagiert
nicht so schnell auf diese erbärmliche Menschenkraft,
und so warfen die braunen Hochwasserwellen das Floß
an den rechten Betonsockel.
Die Weidenseile zerfetzten und der vordere Riegelbaum
brach in der Mitte auseinander. Die Baumstämme ge-
rieten außer Kontrolle und trieben quer vor die Ein-
fahrt. Die Flößer stürzten ins Wasser, und die beiden