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Der Leichenwärter Leonhard
Der Leichenwärter Leonhard und seine Frau Vera wa-
ren ein durch ein langes Leben zusammengeschweißtes
Rentnerehepaar, sie waren aus einem Guss und verstan-
den sich blind. Er nahm als Zubrot zur mageren Rente
den Posten des Leichenwärters an und seine Frau assis-
tierte ihm. Auch ohne Telefon und Computer wussten
sie, wer im Dorf schwer krank war und wer im Sterben
lag.
Eines Nachmittags ging sie an unserem Haus vorbei und
sagte:
Ich glaub, der alte Viehhändler Kasimir macht's
nicht mehr lang
, und ging weiter. Schon am nächsten
Tag kam dann tatsächlich die Nachricht, dass der Vieh-
händler gestorben sei.
Sogleich holte sie ihr Bettzeug und trug es unter dem
Arm ins Leichenhaus, in der anderen Hand hatte sie
eine grauweiß emaillierte Spülschüssel, die man damals
zum Geschirrspülen verwendete. Und als man sie fragte:
Was machst du denn mit der Spülschüssel?
, antwor-
tete sie:
Man will ihn noch sezieren, die brauchen wir
dann für die Eingeweide.
Jetzt richtete sie das Nebenzimmer im Leichenhaus gemüt-
lich ein und sorgte auch für Brotzeit und Getränke. Die
wichtigsten Requisiten waren die Flaschenmit Doppelkorn.
Anschließend gingen beide zum Trauerhaus.
Sie verhielten sich ganz still hinter dem Haus wie zwei
Lämmergeier, die darauf warteten, bis ihnen die Hyä-
nen Platz machten, denn sie konnten bei der folgenden
Tätigkeit keine Zuschauer brauchen. Die Trauergäste
verließen den Raum, in dem der Tote lag, und nun hat-
ten sie freie Hand.
Der schönste Trachtenanzug wurde aus dem Schrank
geholt und dem Toten angezogen, dann die Haare noch
gekämmt und jetzt hoben sie ihn in den bereitgestell-
ten Sarg. Bald darauf kam der Leichenwagen mit einem
schwarzen Pferdegespann und nach der Aussegnung
gingen die Trauergäste langsam hinter dem Wagen her
und beteten.
Im Leichenhaus angekommen, hievte man den Sarg auf
eine Bahre und nach einiger Zeit waren die Trauergäste
und Zuschauer verschwunden und die beiden waren mit
dem Toten allein. Jetzt gehörte er ganz ihnen und Leon-
hard spielte den Chef.
Sie nahmen den Sargdeckel wieder ab, und weil damals
die Leichen noch offen aufgebahrt wurden, richteten sie
den Toten durch ihre kosmetische Behandlung so her,
als wäre er gerade von einem Südsee-Urlaub gekom-
men. Der Leonhard rasierte den Stoppelbart und sie
puderte und schminkte das Gesicht, da ließen sie sich
nichts nachsagen, weil doch am anderen Tag noch eini-
ge Leute Abschied nehmen wollten.
Für den Leichenwärter war es eine Ehre, wenn er den
Toten schön gerichtet hatte und Nachtwache halten
durfte. Er sagte:
Ich lasse meine Toten in der Nacht
nicht allein, das kommt nicht in Frage.