Seite 96 - Bruggbeckle

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Sie gingen ins Nebenzimmer, das Bett war gerichtet,
und neben der Salamibrotzeit stand die Flasche Dop-
pelkorn. Er nahm noch einen kräftigen Schluck und
wollte seine Frau gerade nach Hause schicken, da sah er
im Kerzenschein, als er noch seinen Rundgang machte,
dass sich der Bierbauch des Viehhändlers mächtig wölb-
te. Durch das heiße Sommerwetter und das viele Bier,
das er zu Lebzeiten getrunken hatte, ging der Bauch in
Gärung über.
Schnell, Vera, den Sargdeckel, er geht über!
, rief Le-
onhard aufgeregt. Sie brachte sofort den Deckel, aber
es war schon zu spät, die Schrauben erreichten das Un-
terteil nicht mehr, die Lücke war zu groß. Beide knieten
sich auf den Sargdeckel, er am Kopfende, sie am Fuß-
ende, und so wippten sie eine Weile auf und ab, jedoch
vergeblich, der Bauch wuchs und wuchs.
Geh auf dem schnellsten Weg zum Schreiner, ein
Übersarg muss her
, entschied er. Die Frau rannte zum
Schreinerhaus, der alte Schreiner schaute zum Fenster
heraus und wollte gleich ins Bett gehen.
Wir brauchen dringend einen Übersarg
, rief sie hin-
auf.
Jetzt noch so spät, und wer bezahlt den?
, fragte
der Schreiner. Er hatte beim zweiten Sarg schon so seine
Erfahrungen gemacht und oft kein Geld mehr bekom-
men.
Da brauchst du dir keine Sorgen machen, bei
dem ist schon Geld vorhanden
, rief sie zurück.
So ging also der Schreinermeister wieder in seine Werk-
statt und zimmerte einen Übersarg mit ganz minder-
wertigen Brettern, die er extra für solche Zwecke auf
die Seite gelegt hatte. Nach ungefähr drei Stunden war
der Sarg fertig, er malte ihn noch schwarz an und na-
gelte eine Borte außenrum und ein kleines Kreuz in die
Mitte des Deckels.
Am frühen Morgen brachte er den Übersarg mit seinem
Zweiradkarren ans Leichenhaus, die Türe stand offen
und der Leichenwärter erwartete ihn schon. Als sie mitei-
nander den Sarg ins Leichenhaus trugen, kam ihnen eine
Alkoholwolke entgegen, die jeden Antialkoholiker sofort
umgehauen hätte. Es roch, als wäre über Nacht ein Rum-
fass ausgelaufen, und das vermischte sich auch noch mit
dem Leichengeruch - aber es gehörte noch zur Dienst-
leistung des Schreiners, dass er den Toten mitsamt dem
anderen Sarg in den Übersarg heben half. Als dann der
riesengroße Deckel passte, blieb er keine Sekunde länger
und verschwand mit seinem Zweiräderer.
Der Leonhard hatte sich jetzt beruhigt auf einen Stuhl
gesetzt und nahm einen kräftigen Schluck aus der
Schnapsflasche - bei diesem Beruf war das fast eine Not-
wendigkeit. Als dann Vera, seine Assistentin, auftauchte,
war alles schon in Ordnung, sie nahm ihm die Flasche
aus der Hand und auch ihr Zug war nicht von schlech-
ten Eltern.
Wieder ging die Türe auf und herein kam schimpfend
und fluchend der Totengräber; mit seinen lehmver-
schmierten Lederstiefeln und seiner speckigen Schaufel
führte er einen Veitstanz auf. Er stapfte immer wieder
um den Sarg herum und rief:
Was fällt euch denn ein,
einen Übersarg bestellen, wo ich das Grab schon fer-
tig habe und keinen Zentimeter Spielraum nach oben
und unten habe! Oben kommt die Grundmauer der al-
ten Kirche mit riesengroßen Steinen und am Fußende
kommt ein fast neuer Sarg von der gegenüberliegenden
Seite, und zudem läuft mir der Leichensaft schon oben
bei den Schaftstiefeln hinein. Das Grab kann größer
machen wer will, ich nicht, nein ich nicht!
Dieser Auftritt war an Dramatik nicht zu überbieten,
doch der Leichenwärter blieb ganz ruhig und kostete die
Szene aus bis kurz vor dem Scheitern der Beerdigung.
Jetzt erst schüttelte Leonhard seinen Trumpf aus dem
Ärmel, er packte ihn bei der Totengräberehre, nahm