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Sauerteig und Hefe / Meine Lehrzeit
Dieser altbekannte Aufsatz steht fast in jeder Gesellen-
prüfungsarbeit, in Form und Aussage den jeweiligen
Umständen angepasst. Vor allem wird das Betriebskli-
ma im Lehrbetrieb wohlwollend geschildert und auch
die fachliche Ausbildung wird in den schönsten Farben
gemalt. Man möchte ja die Prüfung mit Erfolg bestehen,
so wie es hinterher im Prüfungszeugnis steht.
Im Nachhinein und als Rentner kann man diesen Ab-
schnitt ehrlicher ansehen. Ich möchte jetzt nicht jam-
mern oder den Lehrbetrieb verunglimpfen, im Gegen-
teil möchte ich die harte Lebensschule und alles, was
drumherum passierte, nicht missen.
Im Jahre 1948 kam ich mit vierzehn Jahren in eine für
damalige Verhältnisse große Bäckerei. Die Lebensmittel
waren noch rationiert und Brot war die Hauptnahrung.
Mein Großvater gab mir noch den weisen Satz mit:
„Wenn ein Bäcker verhungert, ist er selber schuld.“
Drei junge Bäckergesellen, alles kriegsentlassene Solda-
ten, fanden auch in dieser Bäckerei Arbeit. Der Älteste
war vier Jahre in russischer Gefangenschaft und gab sei-
ne russischen Trinksprüche zum Besten. Dann war noch
der Meister und sein Sohn, mein älterer Kollege Fritz
und ich.
Um drei Uhr in der Frühe wurden wir vom ehemali-
gen Feldwebel militärisch geweckt, um dann in fünf Mi-
nuten in vollständiger Berufskleidung in der Backstube
zu erscheinen. Meine Aufgabe war das Aufheizen des
Backofens. Dieser musste auf Anhieb brennen, bei der
kleinsten Verzögerung gab es schon einen Fausthieb
zwischen die Rippen, weil dadurch der ganze Backvor-
gang eine zeitliche Verzögerung erfahren hätte. Seit die-
ser Zeit brennt bei mir jeder Kachelofen auf Anhieb.
Man kann sich heute nicht mehr vorstellen, was in den
Jahren nach dem Krieg von 1948 bis 1952 für ein ge-
waltiger Brotkonsum vorhanden war. Jeden Tag buken
wir sechsmal den ganzen Backofen voll Mischbrot. Das
waren täglich 540 Stück Dreipfünder, dazu noch 1200
Brezen aus dunklem Weizenmehl. Das Mehl wurde
noch mit Sojamehl und Maismehl gestreckt. Semmeln,
Feingebäck oder Konditorwaren waren damals noch Il-
lusion. Das Brot war Grundnahrung und wurde noch
subventioniert. Die Hälfte wurde im Laden verkauft, die
andere Hälfte transportierte ich mit einem Handwagen
durch die Stadt von Lebensmittelgeschäft zu Lebensmit-
telgeschäft. Auch Krankenhaus und Seilerwaren-Fabrik
wurden angefahren.
Von den Kantinenköchinnen hörte ich die ersten
schlüpfrigen Witze und bekam die ersten Anpfiffe, wenn
ich nicht pünktlich war. Wenn ich dann endlich alle Lä-
den bedient hatte und zurückkehrte, meinten die Gesel-
len barsch, wenn ich immer auf dem Weg wäre, würde
ich das Brotbacken nie lernen.