Seite 16 - Bruggbeckle

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Beim Frühstück saßen wir alle beisammen im langen
Hausgang. Meister und Sohn verschwanden im Esszim-
mer, es gab eine Tasse schwarzen Malzkaffee und ein
Stück trockenes Brot, dazu ein Süßstoffplättchen. Dieses
eine Plättchen süßte natürlich kaum, deshalb ließen wir
durch das Dienstmädchen dem Meister die Botschaft
überbringen, wir hätten gern noch ein halbes Plättchen
Süßstoff zusätzlich. Doch er ließ uns postwendend aus-
richten, ein Plättchen sei genug, er nähme auch nur eins.
Es gab öfters Reibereien zwischen den Gesellen, bis
dann der Meister mit ein paar saftigen Flüchen die Aus-
einandersetzung beendete. Solange es uns Lehrlinge
nichts anging, fanden wir diese Meinungsverschieden-
heiten ganz amüsant, doch sobald wir auch mit hinein-
gezogen wurden und vielleicht noch ein paar Ohrfeigen
abbekamen, schlug die Geschichte ins Gegenteil um.
Meistens ging es in der Backstube ganz lustig und fried-
lich zu, vor allem, wenn die Arbeit flott voranging und
der Feierabend in Sicht war. Feierabend war, genau im
Sinne des Wortes, erst am Abend. Ein Vierzehnstunden-
Tag war ganz normal und niemand wäre auf den Ge-
danken gekommen, eine Stunde früher Schluss zu ma-
chen. Jetzt musste ich noch sechs Zentner Kohlen im
Keller mit der Schaufel in Eimer füllen und dann an
einem alten Seil in den Heizungsraum hinaufziehen, je-
der Eimer hatte gefüllt sechzig Pfund - das stählte die
Muskeln und das dauernde Auf-und-ab-Klettern an der
Eisenleiter machte beweglich. Dann machte der Kollege
Fritz in zwei großen Knetkesseln den Sauerteig für den
nächsten Tag.
Nach dem Abendessen, ein Grießbrei mit Pfefferminz-
tee, ging's noch in die städtische Turnhalle, dort machten
wir uns an verschiedenen Geräten fit und zum Schluss
kam noch der obligatorische Ringkampf, so waren wir
immer in Topform.
Außer dem Brotausfahren und der Berufsschule ka-
men wir während des Tages nicht aus der Backstube.
Man musste die Backstube und die Geräte reinigen,
das Hausschwein füttern und ausmisten, den Back-
ofen entrußen, kleine Maler- und Hausreparaturen
ausführen und riesige Mengen Kohlenasche auf einen
Pferdewagen schaufeln, den ein Bauer in den Licht-
hof gestellt hatte. Die ganze Woche sah man nur das
hellblaue Viereck des Himmels am oberen Dachrand
des Lichthofs und wir freuten uns schon, wenn uns
eine Fliege in der Backstube besuchte. Als dann eines
Tages ein Mühlenvertreter farbige Teigschaber aus Zel-
luloid in die Backstube brachte, kamen wir aus dem
Staunen nicht heraus.
Verirrte sich einmal eine Maus ins Mehllager, gingen wir
mit einem langen Brett auf die Jagd. Im spitzen Win-
kel stellten wir das Brett an die Fußbodenleiste, ich sto-
cherte mit einer langen Rute hinter die Mehlsäcke, und
wenn sie dann in den Spitz sauste, drückte der Fritz zu.
Wenn wir dann um zehn Uhr in unser Dachkämmer-
lein zum Schlafen gingen, war die Nacht sehr kurz. Im
Winter war es eisig kalt, denn keiner dachte daran, das
Fenster zu schließen, und so stand es das ganze Jahr of-
fen, daher bildete sich auf dem Fußboden ein starker
Raureif, so dass wir barfuß bis an die Türe schlittern
konnten. Die ganze Nacht hämmerte der Dampfham-
mer, der die Spundwände des Allgäuer Überlandwerks
einrammte. Da konnte es schon einmal vorkommen,
dass einen bei einer monotonen Arbeit in der Backstu-
be der „General“ übermannte. „General“ nannten wir
den Zustand, wo einem wegen Übermüdung die Augen
zufallen und man im Stehen einige Minuten dahindäm-
mert. Doch nach einem Rippenstoß der Gesellen folgte
das schnelle Erwachen.