Seite 17 - Bruggbeckle

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Der Sohn des Meisters hatte in dieser Zeit zahlreiche
Frauengeschichten und diese Nächte zermürbten ihn
förmlich. Wenn er am Morgen in der Backstube auf-
tauchte, mussten wir ihm aus Backbrettern eine Liege in
der Ecke richten, da lag er dann wie eine Wasserleiche,
während wir schon eifrig das Brot in den Ofen schoben.
Er brachte nur noch den einen Satz heraus: „Wenn der
Vater kommt, bitte rechtzeitig wecken.“
Es war eine Ehrensache für uns, dass wir uns im fach-
lichen Bereich keinen Fehler leisteten, und so wurde in
dieser Hinsicht auch nie etwas beanstandet.
Halbjährlich wurde ein Waggon Kohlen angeliefert,
diese warf der Fuhrunternehmer einfach auf die Straße
und die Gesellen schoben mit Schubkarren die neun-
hundert Zentner Briketts durch den Hausgang zum
Kellerloch. Im Keller zogen wir beide dann mit Spitz-
hacken die Kohlen herunter und verteilten sie auf den
ganzen Raum, der sich bis zur Decke füllte. Wegen der
starken Staubentwicklung krochen wir mehrmals ins
Freie zum Luftholen. Wir waren nur mit Badehose und
Schuhen bekleidet und nach vierzehn Tagen kam noch
der schwarze Schleim aus den Bronchien.
Jede Woche lagen fünfzig leere Mehlsäcke im Mehlla-
ger zum Ausstauben, diese Arbeit wollte keiner machen,
denn man erstickte fast, daher war ich ständig an der
Reihe und musste immer zwischendurch in der Back-
stube meine verstopften Nasengänge mit kaltem Wasser
durchspülen, um nicht zu ersticken.
Als einmal der Fritz mit einem Doppelzentner Mehl
beim Transport stolperte und vom Sack zugedeckt wur-
de, konnte er sich selbst nicht mehr befreien und schrie
um Hilfe.
Da war unsere Stunde gekommen, weil er nämlich im-
mer mit seinen Kräften prahlte und außerdem auch
noch ein loses Mundwerk hatte, führten wir um ihn
herum einen Freudentanz auf und ließen ihn ziemlich
lange in dieser misslichen Lage, bis wir ihn befreiten.
Ich kann mir heute nicht mehr vorstellen, wie man diese
ständig wechselnden extremen Belastungen ohne nen-
nenswerte gesundheitliche Schäden überstand.
Nach der Lehre war ich für die Bundeswehr schon zu
alt, so kam mir der neue Arbeitsplatz in einer anderen
Bäckerei paradiesisch vor. Vor allem wurde man hin und
wieder für das fachliche Können gelobt, was man über-
haupt nicht kannte, und so stand ich noch über vierzig
Jahre in der Backstube und habe dreißig junge Leute
in diesem wichtigen Beruf ausgebildet. Leider ist dieser
Beruf heute nicht mehr gefragt und ist im Aussterben
begriffen und ich bin froh, dass ich heute meinen wö-
chentlichen Laib selber backen kann.