Seite 20 - Bruggbeckle

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bald den Händlertrick, als sich nämlich das Badwasser
des Kanarienvogels gelb verfärbte und der Vogel braun
wurde.
Wenn man beim Lise auf die Festtage einen Gockel
oder eine Gans bestellte, so brachte er das Gewünschte
pünktlich und lebend in seinem Rucksack.
Die Köchin sagte, er solle ihr den Gockel gleich ab-
schlachten, damit sie ihn rupfen könne. Aber gleich
darauf kam sie hilferufend in die Backstube gestürmt,
ich solle sofort mit einem scharfen Beil kommen, sie
könne diese Schlachterei nicht mitansehen. Als ich
vor die Haustüre kam, säbelte er mit einem stumpfen
Taschenmesser an dem Gockelhals herum. Mit einem
schnellen kurzen Beilhieb machte ich der unsachgemä-
ßen Schlachtung ein Ende. Doch damit nicht genug, als
der Hahn ohne Kopf war, warf der Lise ihn in die Luft
und so flatterte er ohne Kopf im Garten herum. Zwei-
fellos ein makabres, aber lustiges Schauspiel, das die an-
schließende Schimpfkanonade der Köchin bei Weitem
ausglich, denn nach dieser Vorstellung konnte das Blut
nicht mehr ablaufen. Der Hahn wurde dann doch
gerupft und gebraten und war damals eine festliche
Delikatesse.
Der kleine Teppichweber Hanne kam täglich in die
Backstube, er konnte fast alles reparieren, war zum Bei-
spiel eine Uhr kaputt oder musste am Ochsengeschirr
ein Riemen genäht werden, auch setzte er Flecken
­in durchgescheuerte Arbeitshosen oder Hemden. Wir
mussten herzlich lachen, als er erzählte, dass man ihm,
dem alten Schneider, auf dem Kirchweihmarkt in
Füssen eine Damenhose angedreht hatte.
Auch der Jägerwirt und der krumme Schneider waren
die täglichen Gäste in der Backstube. Der Jägerwirt er-
zählte seine Flößergeschichten. Wie z.B. der Floßführer,
genannt „Schmalzgrattl“, mit seinem Floß an einen vor-
springenden Felsen fuhr, dass es das ganze Floß mitten
entzweiriss und er sich durch einen kühnen Sprung auf
den Felsen rettete. Hier wartete er auf das nachfolgende
Floß und sobald dieses in Sicht war, rief er zu den Flö-
ßern hinunter: „Hand der mer it a paar truckene Zünd-
holz, mei Pfeife isch ausgange.“
Ein anderer Floßführer mit dem Spitznamen „Schnur-
rer“, er war rothaarig, und als er so am Ufer entlang
fuhr, rief er zu einem Flußbauarbeiter, der gerade das
Ufer befestigte, hinüber: „So, warst heut Nacht wieder
beim Steale (stehlen).“ Dieser war nicht verlegen und
rief zurück: „Sei froh, dass du it steale brauchst, i ka mir
koa goldene Kappe leiste.“
Dann meinte der Jägerwirt so nebenbei, wenn wir so vie-
le Zutaten in den Zopfteig geben, würden wir ja nichts
mehr verdienen. Der krumme Schneider ließ sich unter-
dessen auf der Backofenbank von seinem außenpoliti-
schen Vortrag nicht abbringen, bis wir ihm eine Stange
Semmeln in die Hand drückten, dann verschwand er
wieder, wie er gekommen war.
So vergingen die Jahre und man hatte zu den vielen Ver-
tretern einen herzlichen persönlichen Kontakt. Jedoch
der Generationswechsel vollzog sich unaufhaltsam, am
besten merkte man es an den Lehrlingen. Der Wohl-
stand machte sich bereits bemerkbar und die Eltern
waren stolz, wenn sich ein verweichlichtes, schwabbliges
Kühlschrankkind für diesen außergewöhnlich harten
Beruf entschied.
Durch diese dauernden gravierenden Fehlbeset-
zungen wurde dieser wichtige Berufsstand derart in
Mitleidenschaft gezogen, dass er schon fast im Ausster-
ben begriffen ist.