Seite 38 - Bruggbeckle

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Einige Jahre nach dem Krieg, ab 1947, wurde ganz
zaghaft der erste süße Teig gemacht, es entstanden
Nusshörnchen, Schnecken aus Plunderteig, süße
Hefeteigzöpfe und ein ausgezeichneter Zwieback. Diese
süßen Sachen schlugen ein wie eine Bombe und jetzt
hätte man sich zu Tode schinden können, wenn man
nicht noch ein paar Stunden Schlaf der Zeit abgerun-
gen hätte. Nun wurden auch Torten und Sandkuchen
verlangt und der Appetit der Menschen war fast nicht
mehr zu stillen.
Trotzdem versuchten einige meiner Kollegen ihr Glück
im Ausland und waren der irrigen Meinung, sie würden
den Amerikanern das Roggenbrotessen schon beibrin-
gen. Die Amerikaner würden deutsches Roggenbrot
und knusprige deutsche Semmeln nicht verschmähen.
Doch spätestens nach einem halben Jahr mussten sie die
bittere Erfahrung machen, dass man die Essgewohnhei-
ten eines Volkes nicht einfach ändern kann. Jetzt gingen
sie zwangsläufig auf die Herstellung der amerikanischen
Schwammsemmeln mit gebleichtem Weizenmehl und
Sesambestreuung über. Doch dieser riesigen Semmelin-
dustrie konnten sie preislich nicht annähernd die Stirne
bieten und verloren so ihr ganzes Vermögen, das sie von
Deutschland in dieses Unternehmen gesteckt hatten.
Wieder andere Kollegen waren der Meinung, dass
man in Frankreich mit gutem deutschem Roggenbrot
aus Sauerteig seine Millionen machen könne. Doch
die Franzosen wichen keinen Millimeter von ihren Ba-
guettes ab und so scheiterten auch diese Unternehmen
nach kurzer Zeit.
Nach und nach lösten sich die kleinen Mühlen durch
eine staatliche Stilllegungsprämie auf. Nur die größe-
ren Mühlen versorgten noch die Bäcker und durch die
Einfuhr von billigem Weizenmehl aus den USA dräng-
te man auch diese noch verbleibenden Mühlen an den
Rand der Existenz.
Die Mehlfuhrmänner schleppten in manchen Bäcke-
reien die Doppelzentnersäcke ohne zu murren über die
Treppe ins Mehllager im ersten Stock.
Dass Brot ein vollwertiges Nahrungsmittel ist, bewies
durch eine Überlieferung ein Gefangener, der im Ge-
fängnis nachweislich vierunddreißig Jahre nur mit
Wasser und Brot bei bester Gesundheit verbrachte.
Brot war einst so kostbar, dass im Jahre 1817, als die
große Hungersnot ausbrach, ein Lechbrucker Bau-
er seinen Anger von zwei Tagwerk um einen Laib
Brot verkaufte. Dieses Grundstück heißt heute noch
„Loablaschanz“.
Jetzt in der Neuzeit, beziehungsweise „Endzeit“, kämp-
fen und wursteln die kleinen Bäckereien ums nackte
Überleben. Die Familienmitglieder schinden sich Tag
und Nacht, schauen nicht auf die Uhr und berechnen
sich selber keinen Lohn und nur so können sie noch
eine absehbare Zeit durchhalten. Wären Löhne zu zah-
len oder müsste man in teure Maschinen investieren, so
wäre das der unausweichliche Todesstoß. Die Entwick-
lung in der Jetztzeit führt augenscheinlich dahin, dass
dieser wichtige Beruf ein für allemal auf der Strecke
bleibt und nur noch durch große Brotfabriken ersetzt
wird.
Die Teiglinge werden zum Teil eingefroren und in den
Supermärkten durch völlig sachunkundige Verkäuferin-
nen im Schnellverfahren gebacken oder aufgetaut. Die
Qualität dieser Backwaren lässt sehr zu wünschen üb-
rig, jedoch ein Zurück zur alten Handwerkskunst gibt
es nicht mehr.