Seite 43 - Bruggbeckle

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Der Pfarrer von Sankt Pölten
Jedes Jahr im Herbst machten meine Frau und ich Ur-
laub im schönen Südtirol. Eines Tages, nach einer lan-
gen Wanderung, kehrten wir in einer laubenumrankten
original Südtiroler Jausenstation ein. An einem langen
massiven Holztisch nahmen wir Platz, die milde Nach-
mittagssonne schien direkt auf den Tisch und da kam
auch schon Eddie, der Wirt, ein verschmitzter Südtiro-
ler, mit dem obligatorischen dunkelblauen Schurz.
Es fing ganz harmlos an, meine Frau bestellte einen
Orangensaft und ich ein Viertel Weißburgunder. Auf
einmal hörte man ein schweres Motorrad, das mitten
in den Hof brauste, dass gleich die Kieselsteine auf den
Tisch spritzten. Es war Franz, der Maurer, eine lange
dürre Gestalt mit heruntergekommenem Outfit und ei-
ner altmodischen Motorrad-Lederkappe. Er setzte sich
an unseren Tisch, fragte gleich nach unserem Woher
und Wohin und übernahm fortan die Gesprächsführung
in original Südtiroler Dialekt. Dabei sprach er ganz ge-
hörig dem schweren roten Blauburgunder zu, den ihm
der Eddie kredenzte. Jetzt nahm Eddie meiner Frau den
Orangensaft weg, schüttete ihn in die Thujenhecke und
stellte ihr auch ein Glas Roten hin.
Das Drama nahm jetzt unaufhaltsam seinen Lauf, nach-
dem nun auch zufällig unsere Hausgäste, ein Schweizer
Ehepaar mit Tochter und Schwiegersohn, in die Laube
kamen und nach einer herzlichen Begrüßung gleich zwei
Flaschen Roten vom Besten bestellten. Diese Schweizer
Familie war uns schon bei der Ankunft im Hotel sehr
sympathisch und wir verstanden uns ausgezeichnet.
Ganz beiläufig fragte ich auch nach ihrem Hobby und in
dieser Beziehung waren
sie sich völlig einig. „Essen
und Trinken“, sagten sie, und
das Letztere zöge sich oft sehr lange hin. Die Flaschen
waren bald geleert und schon brachte der Eddie wieder
neue, aber diesmal ohne Etikett, das ist ein Südtiroler
Steuergeheimnis. Franz, der Maurer, machte seine der-
ben Sprüche und uns wurde klar, dass er beim Eddie als
Animateur arbeitete und seinen Wein und seine Brotzeit
frei hatte. Durch den überdurchschnittlichen Weingenuss
wurde sein Reden immer lauter und so sprudelte er sei-
nen halbzerkauten Südtiroler Wacholderschinken bis ans
andere Tischende. Dabei behauptete er, dass die Schwei-
zer unter jeder Johannisbeerstaude einen Goldbarren
vergraben hätten, er würde gerne einmal umgraben.
Der Schwiegersohn der Schweizer, Herbert, war Fern-
fahrer und er ließ keinen Tropfen in der Flasche. So
hatte die leere Flaschenbatterie schon bald eine ansehn-
liche Länge erreicht und mit flinker Hand holte der
Eddie noch eine Flasche unter seinem blauen Schurz
hervor und stellte sie dazu.
Die Frau vom Herbert hieß Annemarie, eine schon etwas
„auseinandergegangene“ Büroangestellte, die uns nach
der zweiten Flasche offenbarte, was sie wahrscheinlich
schon länger bedrückte: Sie brauche sexuell schon noch
etwas mehr, als ihr der Herbert noch bieten könne, und
deshalb hinge der Haussegen etwas schief. Er hörte das
mit an und machte ein belämmertes Gesicht. Mir war
sofort klar, dass ein Fernfahrer, der säuft wie ein Rennka-
mel, sich im Bett nicht in einen „Steinesel“ verwandelt.