Seite 44 - Bruggbeckle

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„Komm, Schorsch, wir fahren in ein anderes Lokal, das
blöde Weibergeschwätz kann ich nicht mehr hören“, sagte
der Herbert. „Einverstanden“, antwortete ich, „aber fah-
ren kann ich nicht mehr.“ Das würde er schon machen.
Also setzten wir uns in diesem Zustand in meinen Die-
sel, der das nicht übel nahm, und wurden bald darauf
in einer ganz engen Straße mit einem Lastwagen kon-
frontiert. Der einzige Ausweg war der Rückzug, Herbert
fragte mich nach dem Rückwärtsgang, doch den wusste
ich beim besten Willen nicht mehr. Ich sagte: „Bei uns
in Deutschland geht es immer nur vorwärts.“ Doch ein
geübter Fernfahrer findet auch in dieser Situation den
Rückwärtsgang und nach einigem Stochern im Getriebe
befreiten wir uns aus dieser misslichen Lage. Nach einer
langen Fahrt über steile Serpentinen landeten wir an ei-
nem uralten Alpengasthof.
Als wir beide die Gaststube betraten, begrüßte uns
freundlich die Serviertochter.Der Herbert trug ein dun-
kelgraues Outfit, eine schwarze Krawatte und ein blü-
tenweißes Seidenhemd, daher sagte sie: „Für den Herrn
Pfarrer hätte ich hier ein schönes Plätzchen und Sie kön-
nen daneben Platz nehmen.“ In welche Kategorie sie
mich einordnete, erfuhren wir leider nicht.
„Wir hätten gerne eine Flasche Roten“, ließen wir verlau-
ten. Der Herbert ließ seine Titulierung über sich ergehen,
als wäre er nie etwas anderes gewesen, er verzog nicht
einmal seine Mundwinkel und wir hatten unseren Spaß.
„Wir haben leider keinen Roten im Haus“, erwi-
derte das Mädchen ganz leicht irritiert. „Wir sind
im Urlaub und können warten“, meinte Hochwür-
den, und wenn es in Südtirol keinen Rotwein mehr
gäbe, dann wolle er auch nicht mehr der Pfarrer von
Sankt Pölten sein. Daraufhin zog er lässig eine lange
Virginia aus seiner Pfarrerjoppe und zündete sie an.
Die Serviertochter schwang sich gleich aufs Fahrrad und
fuhr elegant die steilen Serpentinen hinunter. Wir unter-
hielten uns angeregt und nach einer halben Stunde stell-
te uns das freundliche Mädchen eine Flasche Rotwein
und zwei Gläser auf den Tisch. Die Wirtin selber grüßte
etwas misstrauisch aus der Küche, kam aber nicht in die
Gaststube. Jetzt stießen wir auf Hochwürden an, und da
wir die einzigen Gäste waren, hätte die Stimmung nicht
besser sein können.
Auch die einfältigste Serviertochter lernt in einem Wir-
te-Schnellkurs, wie man kaufmännisch handelt, und so
hängte sie einfach an das Preisetikett des Sparmarkts
eine 0, also im Einkauf 2900 Lire und in der Gaststube
sind es dann 29000 Lire. Doch Hochwürden ließ sich
nicht lumpen und legte noch 10000 drauf. „Fürs Ra-
deln“, meinte er. Dann machten wir das Mädchen noch
darauf aufmerksam, dass ein Südtiroler Gasthaus ohne
Rotwein dem Untergang geweiht sei.
Nach unvergesslichen zwei Stunden wurden wir als
„bessere Herren“ verabschiedet. Jetzt fuhren wir wie-
der ins Tal und blieben zum Glück in keiner Gen-
darmerie-Kontrolle hängen. In unserem Quartier
erwarteten uns schon die Frauen und nun war es schon
wieder vorbei mit den besseren Herren.
Es begann die übliche Fragerei, wo wir so lange gewe-
sen seien und so weiter. Das Abendessen schmeckte uns
nicht besonders, aber das lag bestimmt nicht an der Kü-
che, und so verschwanden wir bald darauf ins Bett.
Am anderen Tag beim Frühstück hatte die resolute An-
nemarie über Nacht aus dem Pfarrer von Sankt Pölten
wieder einen biederen unterwürfigen Fernfahrer ge-
macht. Dieser sehnte sich schon lange wieder nach sei-
ner viereckigen Fernfahrerkabine, wo er fern von Frau
und Kind sein eigener Herr war.