Seite 50 - Bruggbeckle

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mit dem großen Beil nicht mehr die Kraft und das kleine
Beil sei für dieses Tier zu leicht. Mein Onkel, hilfsbereit
wie er war, ging mit ins Schlachthaus.
Aber als er dieses riesigen Stiers ansichtig wurde, fiel
auch ihm das Herz in die Hose, und als ihm der Ludwig-
vetter das große Beil in die Hand drückte, verließ ihn der
Mut. Der Stier war mit einer Kette am Boden angekettet
und bei einem Fehlschlag konnte dieser Koloss die Kette
aus der Verankerung reißen und die ganze Metzgerei in
ein Trümmerfeld verwandeln.
Als der Ludwigvetter sah, dass meinem Onkel die Knie
schlotterten, rief er: „Was seid ihr denn für Mimosen,
gebt mir das kleine Beil!“ Jetzt schlug er mit voller Kraft
genau auf die Stirne zwischen die Hörner. Der Stier fiel
wie vom Blitz getroffen um und schon stieß er ihm das
Metzgermesser in den Hals. Die Gesellen waren verblüfft
und schockiert zugleich, wie dieser alte Mann einem so
kraftvollen Tier mit einem Schlag den Todesstoß ver-
setzte. Er aber ließ ihnen keine Zeit, sondern rief: „Wenn
ihr das Brät für den Leberkäse anrührt, dann spart nicht
mit den Eiern und füllt es gleich in die großen Kasten-
formen, dann fahrt ihr mit dem Schimmel zum Bruck-
beckle, er soll's im Backofen ausbacken.“
Wenn diese großen Kästen im Backofen waren, roch das
ganze Haus nach Leberkäse und man wurde fast vom
Geruch schon satt. Hier klärte uns ein anderer Bäcker-
kollege auf. Er erklärte uns Folgendes: „Wir Bäcker zie-
hen mit der Spachtel die großen Brätwannen noch ein-
mal nach, und was dann an der Spachtel hängen bleibt,
streifen wir in eine Kuchenform und so haben wir fürs
Backen auch unsere Brotzeit.“
Der Schimmel war noch rüstig, das Fell glänzte, und
man sah ihm das Alter nicht an. Nur der Ludwigvetter
wusste es und er wusste auch, dass unaufhaltsam sein
Ende näherrückte, deshalb beschloss er den Verkauf. Er
sagte zu den Bauern, er möchte sich jetzt motorisieren
und der Schimmel stünde zum Verkauf.
Eines Tages kam ein Bauer, lehnte sich über die Brüstung
im Stall und fragte ganz beiläufig: „Dein Schimmel ge-
fällt mir, wie alt ist er denn?“ Der Ludwigvetter, ganz ge-
dehnt: „Fünfzehn...fünfzehn“, und meinte damit dreißig.
„So, fünfzehn,“ wiederholte der Bauer, „dann werden
wir schon handelseinig.“ Er zahlte den geforderten Preis
und machte sich mit dem preiswerten Schimmel, dessen
Geburtstag ein wenig verrutscht war, auf den Heimweg.
Der Sohn des Ludwigvetters wurde auch Metzger und
sollte nach seiner Ausbildung die Metzgerei überneh-
men, wurde aber anschließend in den ZweitenWeltkrieg
eingezogen und nach Norwegen bis an den Polarkreis
versetzt. Dieser Mann war von Zuhause aus wirklich
nicht verweichlicht, daher wiegt der Satz doppelt schwer,
als er in seinem letzten Feldpostbrief schrieb: „Wir ha-
ben Hunger und es ist sehr kalt.“
Wenig später kam dann die Todesnachricht, man wusste
nicht, ist er gefallen oder erfroren. Weil die Eltern nicht
mehr lebten und kein Testament vorhanden war, wurde
mein Onkel als Testamentsvollstrecker eingesetzt. Die
Metzgerei wurde verkauft und es dauerte viele Jahre,
bis das ganze Vermögen auf die dreiunddreißig Erben
aufgeteilt wurde. So endete diese angesehene Metzger-
familie ganz amtlich und lautlos.