Seite 52 - Bruggbeckle

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Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts ging die Kunde
durchs Städtchen, dass man es in Amerika in nur ein
paar Jahren zum Millionär bringen könnte. Dieser Ge-
danke ließ den Alois nicht mehr ruhen, zumal er einen
Onkel in Amerika hatte. Sogleich schrieb er diesem On-
kel einen Brief und fragte, ob er ihn in seinem Betrieb
als Arbeitskraft brauchen könne.
Der Onkel war sehr wohlhabend und betrieb an der
Ostküste in der Nähe von New York eine große Gerbe-
rei. Als er bald darauf zurückschrieb, Alois könne sofort
kommen und gleich bei ihm in der Gerberei anfangen,
hielt den Dännler nichts mehr. Er buchte eine Schiffs-
passage, packte seinen Koffer und nahm Abschied von
der Familie und von Füssen.
Eine Schiffsreise war damals noch ein richtiges Abenteu-
er, mitten im Nordatlantik kam ein heftiger Sturm auf.
Das Schiff schaukelte und schlingerte und den meisten
Passagieren wurde es furchtbar übel, die Seekrankheit
brach aus. Die Matrosen wussten genau, was das bedeu-
tete, deshalb sperrten sie alle Passagiere im Unterdeck
ein, damit das ganze Erbrochene in einem Raum blieb
und nicht das ganze Schiff verunreinigt wurde. Als dann
die Mägen und Därme ziemlich leer waren, machten sie
die Luke zum Oberdeck wieder auf. Es roch erbärmlich
und endlich konnte der Alois wieder frische Luft schnap-
pen.
Nach acht Tagen Überfahrt holte ihn der Onkel am
Hafen in New York ab. Er wohnte in einem feudalen
Herrenhaus mit farbigen Dienern, und nicht weit davon
entfernt war sein Betrieb.
Seine Frau hatte eine unheilbare Krankheit und lag
meistens im Bett oder in dem wunderschönen Garten
auf einer Liege. Dieser Onkel war ein herzensguter
Mann, er saß abends stundenlang am Bett seiner kran-
ken Frau und erfüllte ihr jeden Wunsch, so gut er konn-
te. Untertags musste er noch die vielen Arbeiter in der
Gerberei beaufsichtigen, und weil er keine Kinder hatte,
war sein Neffe hochwillkommen.
An den folgenden Tagen wies er Alois in die Geheimnis-
se der Gerberei ein und sah in ihm schon einen Nach-
folger. Der junge Alois bemühte sich, mit den Arbeitern
in Kontakt zu kommen, und entlastete den Onkel zuse-
hends.
Tag und Nacht kochten in den riesigen Gerberkesseln
die Rinderhäute und rund um die Uhr wurden Kohlen
in diese gefräßigen Heizkessel geschaufelt.
Der Onkel hatte viel zu wenig Schlaf, weil er meistens
am Krankenlager seiner Frau wachte, wurde daher zu-
sehends nervöser und unkonzentrierter, und so geschah
der entsetzliche Unfall. Eines Nachts schaute er noch-
mals nach den Gerberkesseln, da übermannte ihn der
Schlaf. Am Geländer bekam er Übergewicht und fiel in
den kochenden Kessel. Hier kam alle Hilfe zu spät, am
Morgen zog man ihn tot zwischen den Rinderhäuten
hervor.
Die Trauer war groß und von diesem Zeitpunkt an
musste sich der Alois um alles kümmern. Die Tante wur-
de von den Hausangestellten gut versorgt und er war
jetzt die meiste Zeit in der Gerberei. Die Tante stattete
ihn mit sämtlichen Vollmachten aus und er war auf dem
besten Weg zum Millionär.
Er bezahlte die Leute gut und arrangierte für alle sei-
ne Angestellten und Kunden feudale Gartenfeste mit
Musikkapelle, und es wurde aufgetragen, dass sich die
Tische bogen.
Doch diesem lustigen Treiben machte ein Brief aus der
Heimat ein jähes Ende. Aus Füssen kam die Nachricht,