Seite 60 - Bruggbeckle

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Geht man jetzt kurz vor die Eingangstüre, um Frisch-
luft zu tanken, begegnet man dem Igel, der im Garten
eifrig nach Würmern und Schnecken sucht und den
Frühaufsteher überhaupt nicht zur Kenntnis nimmt.
Auf der Hauptstraße wechselt ein Dachs mit seinen
vier Jungen auf die andere Straßenseite und die to-
tenstille Dunkelheit verschluckt ihn wieder.
Jetzt ist natürlich ein Bäcker kein Einsiedler und wenn
er dann spät abends vom Bierzelt heimkommt, ist die
Nacht sehr kurz. Manchmal war der Arbeitsbeginn
schon überschritten, dann band man einfach schnell
den Bäckerschurz um und ließ der Knetmaschine
freien Lauf. Dass es dann doch noch eine hervorra-
gende Qualitätsware wurde, verdankte man einzig
und allein dem untrüglichen Bäckerinstinkt.
Dieses beschauliche Bäckerleben wurde eines Tages
jäh unterbrochen. Es war Freitag, der 22. Juli 1966.
Schwarzgraue Regenwolken zogen vom Westen her
auf und es fing heftig an zu regnen. Das Wasser fiel
förmlich vom Himmel und der Leuthenbach, der
an unserer Backstube vorbeiführt, schwoll minuten-
schnell bis zur Höchstmarke. Wir waren schon öfter
vom Hochwasser überrascht worden, doch der heu-
tige Pegelstand machte mir Sorgen, vor allem weil es
immer stärker regnete und sich kein Nachlassen be-
merkbar machte.
Langsam wurde es unheimlich, und weil es jetzt schon
Samstag war, zudem Hochsaison, wo der ganze Ort
mit Feriengästen belegt war, richtete ich einen großen
Semmelteig in der Knetmaschine.
Als dann um zwei Uhr morgens mein Mitarbeiter
Herbert und mein Onkel zum Helfen in die Backstu-
be kamen, meinten sie, der Bach komme bald über
die Ufermauer. Wir sollten doch lieber gleich Sandsä-
cke herrichten und die Türe mit Brettern vernageln.
Gesagt, getan; als wir dann die ersten Sandsäcke ge-
füllt hatten, schwappten schon die dunkelbraunen
Wellen über die Brücke, die sich vor dem Ladenein-
gang befindet. Ein Nachbar schrie ganz laut in die
Nacht: „Aufstehen, Hochwasser!“ Jetzt erhellten sich
überall die Fenster und die Regengüsse wurden im-
mer noch heftiger. Nun wurde die Lage ernst, der
Leuthenbach trat weiter oberhalb über die Ufer und
vor und hinter dem Haus rauschten tosende Sturzbä-
che vorbei.
Wir sahen gerade noch, wie das Auto meines Mitar-
beiters Herbert auf dem Parkplatz vom Wasser ange-
hoben wurde und sich im Kreise drehte. Es wäre von
den Fluten mitgerissen worden, wenn wir nicht sofort
hinausgesprungen wären und es auf einen erhöhten
Platz geschoben hätten.
Die Sandsäcke und Bretter hielten nicht lange stand
und die Backstube füllte sich mit dunkelbraunem, fast
lauwarmem Wasser. Die großen Teige waren bereits
vorbereitet und so konnten wir jetzt nichts anderes
tun als weiterarbeiten, bis uns endgültig irgendetwas
stoppte. Zwar versuchten wir noch vergeblich, die
Knetmaschine und die Schleifmaschine auf einen er-
höhten Sockel zu heben, doch diese Maschinen waren
viel zu schwer und die Elektromotoren verschwanden
langsam im Wasser.
Verzweifelt rief ich die Feuerwehr an und gleich da-
rauf kamen zwei Feuerwehrleute, schauten sich die
Bescherung an und sagten, alle Geräte seien schon im
Einsatz, ich solle mich an einen Bauern wenden. Ich
kümmerte mich also jetzt um das Hochwasser und
die beiden Gehilfen machten in der Backstube, wo sie
bereits knietief im Wasser standen, weiter, als wäre es