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Beim Welschenwirt
Der Rentner Otto Meienberg kam von Flensburg nach
Lechbruck, um Ferien zu machen. Er war Metzgermeis-
ter und Witwer, und hoch oben im Norden von Deutsch-
land ging die Kunde, dass die Bayern ein Urwaldvolk,
saudumm und noch fünfzig Jahre in der Entwicklung
zurück wären.
Er wurde in der Vermieterfamilie freundlich aufge-
nommen, revidierte schon nach ein paar Wochen sein
Vorurteil und merkte bald, dass es fast umgekehrt war.
Schließlich gefiel es ihm so gut, dass er bald darauf sein
Heimatland verdrängte, seine Rente nach Lechbruck
überweisen ließ und nicht mehr zurück wollte. Nur die
Bienen, die Vögel und die Kühe waren nach seiner An-
sicht in Friesland noch größer, aber sonst stand Bayern
in nichts nach.
Wenn er so nachmittags am Küchenfenster saß und ein
Bauer seine Kuhherde in den heimatlichen Stall trieb,
dann taxierte er jede einzelne Kuh nach Gewicht, Alter
und Speck. Die Milchleistung interessierte einen Metz-
germeister überhaupt nicht. Er sortierte im Geiste die
schlachtreifen Kühe aus und stellte sie auf die Seite.
Wenn man jetzt diese beschauliche Situation ganz lei-
se mit dem Satz unterbrach:
Otto wie wär's mit einem
Grog?
, dann sprang er munter auf, stampfte mit einem
Bein ganz leicht auf den Boden und fing an zu tänzeln,
dabei summte er vor sich hin:
So en lüttwet Water und
recht viel Rum, zwee Stücken Zucker und dann rühr
um.
Er drehte sich in Richtung Herd, und jetzt war es
ihm gleichgültig, ob da noch ein Weißwurstwasser vom
Vortag im Topf war oder ein lauwarmes Schiffchenwas-
ser, mit Kalkflocken durchsetzt, es wurde heiß gemacht,
und schon holte er oben aus dem Küchenschrank eine
Flasche Rum, mit dem immer wiederkehrenden Aus-
spruch:
Hansen ist der Beste, aber Pott geht auch.
Er stellte für jeden ein Glas auf den Tisch und dann
kam die friesische Zeremonie, in jedes Glas füllte er ein
Drittel heißes Wasser, dann goss er zwei Drittel Rum
dazu, jetzt noch in jedes Glas zwei Stück Zucker und