Seite 67 - Bruggbeckle

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weich
, sagte er,
die hab ich schon seit Mittag in der
Tasche, die kann jeder beißen.
Auf einmal wollte jeder
ein paar Landjäger haben, und die Landjägerkette aus
der Hosentasche nahm kein Ende.
Schließlich wollte der Otto eine Runde Schnaps ausge-
ben, er zog seinen Geldbeutel, und beim Wechseln des
Hunderters flatterte ein Zehnmarkschein zu Boden; der
Otto bückte sich vom Stuhl herab und mit der ausge-
streckten Hand schlief er ein. Die anderen ließen ihn
dann so hängen und amüsierten sich.
Nachdem dann eines Tages der Schnurrian und der
Schnabbelkramer verstarben, lichtete sich der Stamm-
tisch, und bald darauf bekam auch der Otto heftige
Bauchschmerzen. Er war immerhin schon vierundachtzig
Jahre und meinte:
Ich kenne das, ich habe schon genug
Kühe aufgeschnitten, die kranke Därme hatten, und
sterben möchte ich schon daheim in Flensburg.
Er bestellte ein Taxi, nahm Abschied von den Hausleu-
ten und von Lechbruck und ließ sich in einem Zug die
tausend Kilometer in seinen Heimatort fahren. Man
operierte ihn noch, aber nach vier Wochen kam schon
die Todesnachricht.
Frauen waren beim »Welsche Ure« nicht erwünscht,
erstens hatte er nur schlechte Erfahrungen mit ihnen
gemacht und zweitens:
machen sie mit ihren Stöckel-
schuhen meinen ganzen Fußboden kaputt, da mach ich
schon lieber alles allein
, meinte er. Der Stammtisch
hatte keine männlichen Neuzugänge mehr und als auch
noch der
Krumme Schneider
starb, saßen nur noch
der Ure und Rudi, der Maurer, am Tisch.
Am Ende des langen Hausganges war noch ein ural-
ter Holzabort mit rundem Holzdeckel und daneben
ein kleines Holzkistchen aus der Kolonialzeit mit der
eingebrannten Aufschrift
Echt Nordhäuser Kautabak
Grimm & Triepel gegr. 1849
. In diesem Kistchen war
fein säuberlich die Tageszeitung aufgeschnitten und hi-
neingelegt.
Doch genau dieses ehrwürdige Örtchen wurde ständig
vom Landratsamt beanstandet, es sei nicht mehr zeit-
gemäß, und er müsse dringend neue sanitäre Anlagen
schaffen. Das wollte er absolut nicht mehr, und so mach-
te er sein Gasthaus dicht und buchte mit seinem Freund
Rudi eine sechswöchige Schiffsreise in die Karibik.
Braungebrannt und weltmännisch im Auftreten stand
er eines Tages wieder vor seinem Gasthaus. Er malte
ein großes Schild, auf diesem stand:
Geschlossen für
immer
und heftete es an die Haustüre.
Rudi, der Maurer, kam noch manchmal durch die Hin-
tertüre in die Küche und trank seine Halbe. Doch als
auch der Rudi starb, war er ganz alleine. Seine Schwes-
ter Sophie schaute manchmal nach dem Rechten und
machte sauber.
Zu seinem achtzigsten Geburtstag lud er noch viele Gäs-
te ein und feierte ausgiebig, doch das Ganze war einfach
zu viel für ihn, er war hinterher fix und fertig und erhol-
te sich nicht mehr.
Doch bei meiner Beerdigung gibt
es noch eine kleine Überraschung
, machte er alle noch
neugierig, sagte weder wo, noch wie.
Und tatsächlich, als er nach einigen Wochen starb, teil-
te man an jeden Trauergast nach dem Gottesdienst
ein Sterbebildchen aus, in das ein Zwanzigmarkschein
eingelegt war. So bedankte er sich noch bei allen, die
ihn auf dem letzten Weg begleiteten. Jetzt war der letz-
te Stammtisch vom Welschenwirt zu Grabe getragen.
Seine Erben haben das Gasthaus bis heute nicht mehr
eröffnet, aber an der Hauswand auf der Nord- und Süd-
seite steht heute noch
Gasthaus zum weißen Rössl
.