Seite 72 - Bruggbeckle

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Hallo. Denn in der Bäckerei mit der dazugehörigen
Landwirtschaft war so eine Arbeitskraft immer willkom-
men. Der Vetter sah einfach die Arbeit und wusste, wo
es am notwendigsten war. Er hackte Brennholz, half bei
der Heuernte und in der Backstube und machte nur
kurze Pausen, um ein paar Züge aus seiner langen Pfeife
zu nehmen.
Vom Gemüt her war er empfindlich wie eine Mimose, er
war kein Befehlsempfänger; ein falsches Wort und sofort
packte er seinen Rucksack und verschwand wieder, wie
er gekommen war. Darum musste man äußerst behut-
sam mit ihm umgehen, immer Vetter hin und Vetter her.
So arbeitete er von früh bis spät, eigentlich nur für das
Essen. Er schlief in einer kleinen Kammer, und wenn er
abends redlich müde war, meinte er:
Wenn ich auf den
Knien ins Bett gehe, war es ein guter Tag.
Weil es sich reimte, fragte man ihn immer wieder:
Vet-
ter, wie wird's Wetter?
Man erwartete eine hundert-
prozentige Voraussage, weil er doch schon so lange auf
der Welt war und prophetische Gesichtszüge trug. Aber
immer kam dieselbe Antwort:
Ich weiß nicht recht, die
Wolken sind hoch und der Wind dreht sich.
Der Vetter blieb nicht in seinem Beruf als Bäcker, heute
würde man sagen, er jobbte sich so durch. Sein letzter
Arbeitsplatz war das Zementwerk in Vils, und weil die
Zementsäcke damals noch mit der Hand aufgeladen
wurden, holte er sich ein Hüftleiden, das ihm dann die
Rente einbrachte.
Als er jünger war, wanderte er von Bäckerei zu Bäckerei
und landete schließlich in Murnau als Postkutscher. Er
betreute die Strecke von Murnau nach Kochel, und wo
heute Brücken sind, musste man damals noch mit der
Postkutsche durchs Wasser über den Fluss, das war bei
Hochwasser schon sehr gefährlich.
Dann war er lange Zeit bei der Bahn als Streckengän-
ger, da ging er jeden Tag von Füssen nach Kaufbeuren
und am anderen Tag wieder zurück. Er kontrollierte die
Strecke und schrieb die fehlerhaften Stellen auf.
Der Vetter war der geborene Einzelgänger, und doch
machte er noch den verhängnisvollen Fehler und heira-
tete mit fünfundvierzig eine jüngere Frau. Diese Bezie-
hung konnte von vornherein nicht gut gehen, und des-
halb wunderte keinen, als es hieß, der Vetter und seine
Frau haben sich nach zwei Jahren wieder getrennt.
Wenn er krank wurde, war das schon eine mittlere Kata-
strophe, und als er einmal mitten in der Heuernte wegen
einer bösen Grippe das Bett hüten musste, spürte man
deutlich seinen Ausfall. Als ihm die Köchin das Frühstück
ans Bett brachte, schob er es beiseite und sagte:
Wenn
man nicht arbeitet, braucht man auch nichts zu essen.
Der Sommer 1946 war so heiß und trocken, dass die
abgemähten Felder so hart wie Betonpisten wurden. Da
konnte der Vetter mit seinem Hüftleiden nicht mehr sit-
zen, und so nahm er kniend seine Brotzeit und sein Mit-
tagessen zu sich, das man auf das Feld brachte. Seine
Bierflasche mit Bügelverschluss legte er schon am Vor-
mittag in die pralle Sonne, und wenn sie so heiß wurde,
dass man sie nicht mehr in der Hand halten konnte, sag-
te er:
So mag ich das Bier, so ist es goldrichtig.
Wenn man ihm zum Mittagessen einen schön ange-
richteten Kopfsalat anbot, meinte er:
Bin ich denn ein
Ochse, dass ihr mir Gras daherbringt?
Aber so was
musste man locker einstecken, denn seine Arbeitskraft
war unentbehrlich.
Bedingt durch einen Nabelbruch musste er einmal mit-
ten im Sommer zwangsläufig ins Krankenhaus nach