Seite 73 - Bruggbeckle

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Füssen zum Operieren. Er überstand alles gut, und nach
der Operation bat ihn die Krankenschwester, er solle ihr
doch behilflich sein beim Aufrollen der frisch gewasche-
nen Verbandsbinden. Boshaft wie er war, ließ er die Ver-
bandsbinden durch seine Finger gleiten und machte sich
dabei immer wieder an seiner langen Pfeife zu schaffen.
Dadurch kamen die Binden mit braunen und schwarzen
Flecken bei der Krankenschwester an. Sie wurde wü-
tend und riss ihm die Binde aus der Hand, doch bevor
das Donnerwetter über ihn hereinbrach, hatte er schon
einen Pantoffel in der Hand und schleuderte ihn auf ih-
ren Rücken. Dieser Vorfall war ausschlaggebend, dass
man ihn noch am selben Tag mit seinem Rucksack aus
dem Krankenhaus wies.
Nach dem Kriegsende 1946 waren die Lebens- und
Genussmittel noch rationiert. Die Hausmädchen be-
kamen entweder Tabakmarken oder Bezugsscheine
für Schnaps. Da sie nicht rauchten, nahmen sie den
Schnaps und gaben ihn dem Vetter. Es waren zwei Fla-
schen übelster Fusel, aber des Vetters schönster Tag.
Am Vormittag in der Backstube nahm er Schluck für
Schluck, bis die Flasche leer war, dabei sang er dann
fröhlich das Lied von der Benediktenwand. Nachmittags
kam die zweite Flasche dran, und er war den ganzen
Tag glückselig.
Als er nach dem Brennholzhacken die zweite Flasche
geleert hatte, meinte mein Onkel:
Vetter, wenn du dei-
nen Schnaps ein wenig einteilen würdest, hättest du die
ganze Woche was davon.
Doch der Vetter antwortete:
Was weg ist, brummt nicht mehr.
Er erzählte oft, wenn König Ludwig II. mit seinem Gefol-
ge nach Füssen ritt, wurde immer ein Reserve-Pferdmitge-
führt, weil der König sehr schwer war und das erste Pferd
manchmal schon kurz vor der Stadt zusammenbrach.
Es war wieder einmal im Sommer, mitten in der Heu-
ernte, es war ein heißer und anstrengender Tag; wir hat-
ten schon zwei Fuder Heu in die Tenne gefahren und
abgeladen, und man sah es dem Vetter an, er konnte fast
nicht mehr, er war mit seiner Kraft am Ende. Da pas-
sierte doch noch der gravierende Fehler, als mein Onkel
nämlich sagte:
Vetter, du brauchst beim dritten Fu-
der nicht mehr helfen, das schaffen wir schon, wir sind
schon froh, wenn du auf den Ochsen aufpasst.
Das war
schon zu viel und weit unter seiner Würde. Er rief:
Das
hat gerade noch gefehlt, ich soll Ochsen hüten!
Er rannte in seine Kammer, stopfte seinen Rucksack mit
seinen Habseligkeiten voll, und als er grußlos aus dem
Haus ging, warf er noch seine vier Stohhüte in den Leu-
thenbach und entfernte sich mit langen Schritten, und
man hörte ihn noch eine Weile:
Ochsen hüten, Ochsen
hüten, so etwas, so etwas...
Nach zwei Jahren
Schmoll-
zeit
kam er dann aber doch wieder.
Er war Jahrgang 1875 und immerhin schon siebenund-
siebzig, da bekam er eines Tages beim Brennholzhacken
Magenbeschwerden. Sein Arzt überwies ihn wieder ins
Füssener Krankenhaus. Doch diesmal ging seine The-
orie
wer nicht arbeitet, braucht auch nichts zu essen
nicht auf, aber vielleicht war auch seine Zeit abgelaufen.
Er wurde immer schwächer, und da er keine Angehöri-
gen mehr hatte, starb er ganz friedlich in den liebevollen
Armen derselben Krankenschwester, auf die er damals
seinen Schuh gefeuert hatte.
So war unser Vetter, und es hätte ihn bestimmt gefreut,
wenn er durch diese Geschichte nicht ganz in der Ver-
gangenheit versunken ist.