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Der Mesner Lotterkaspar
Ein kleines, grauhaariges Männchen, das beim Gehen
etwas in die Knie ging, daher der federnde Gang beim
Kaspar Lotter. Er war Ehrenmesner, weil er schon fünf-
zig Jahre ununterbrochen seinen Dienst in der katho-
lischen Kirche verrichtete. Er ging ein wenig gebückt,
aber das kam nicht von der Tätigkeit als Mesner, son-
dern der Schalk saß ihm andauernd im Nacken.
Er musste jeden Tag viermal mit der Hand die Glocke
läuten, in der Früh um fünf Uhr, dann um elf Uhr, um
zwölf Uhr und dann abends um sechs Uhr nochmal, so
war damals die Läutordnung. Die Bauern und Arbeiter
verließen sich ganz auf das Fünf-Uhr-Läuten, und als er
einmal nicht läutete, kamen die meisten zu spät zur Ar-
beit und die Bauern zu spät in den Stall zu ihren Kühen.
Als sie sich dann bei ihm beschwerten, sagte er, einmal
im Leben könne auch er verschlafen und übrigens hät-
ten sie ja auch einen Wecker.
Er hatte bereits seine dritte Frau, die erste verlor er
durch eine Lungenentzündung, die zweite starb an einer
Grippe, doch Lina, die dritte, überlebte ihn dann um
Jahre. Wenn damals ein Mann eine einigermaßen stabi-
le Gesundheit hatte, konnte er es leicht auf drei bis vier
Frauen bringen, denn was heute fast belanglose Krank-
heiten sind, waren solche zu dieser Zeit noch tödlich.
Die Frauen hatten meistens keinen Beruf, und die ein-
zige Versorgung war eine einigermaßen standesgemäße