Seite 83 - Bruggbeckle

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Von der Berufsschule ins Bräuhaus
Wenn man den ganzen Vormittag am Backofen schwitzt
und das heiße Brot aus dem Ofen zieht, meldet sich au-
tomatisch der Durst. Jetzt nichts anderes als schnell zum
kalten Wasserhahn, um die verloren
gegangene Flüssigkeit aufzufüllen. Wir kamen über-
haupt nicht auf den Gedanken, dass es noch was ande-
res zu trinken gab.
Weil man damals in den meisten Betrieben noch Kost
und Wohnung im Hause hatte, so reichte das wenige
Taschengeld gerade für ein paar Portionen Eis und zum
Haarschneiden. Aus diesem Grund florierte nach dem
Berufsschulunterricht ein reger Tauschhandel. In der
Nahrungsmittelklasse waren auch Bierbrauer-Lehrlinge,
diese hatten in der Hosentasche ihre abgegriffenen Bier-
marken aus Messing. Das war unter den Brauerlehrlin-
gen das übliche Tauschobjekt.
Mein Kollege Fritz und ich waren schon siebzehn und
hatten bis jetzt noch nie ein Bier probiert. Also tauschten
wir zehn Biermarken gegen eine wunderschöne Mär-
klin-Eisenbahn, und gleich darauf war unser einziges
Ziel das Füssener Bräuhaus. In der Ecke der Gaststube
machten wir uns an einem kleinen Tisch breit. „Selbst-
verständlich bekommt ihr für diese Marken Bier“, ließ
die Bedienung verlauten, als wir die wertvollen Bier-
marken aus der Hosentasche kramten. Die erste Hal-
be schmeckte nicht einmal besonders, aber es ließ sich
trinken. Dann kam noch eine und noch eine, auf einmal
fiel dem Fritz pflichtbewusst ein, wir müssten heim zum
Sauerteigmachen.
Aber als wir jetzt ins Freie kamen, zeigte sich die volle
Wirkung des Alkohols. Die Häuser wankten wie bei ei-
nem mittleren Erdbeben und die Straße ging ganz steil
nach oben. Wir klammerten uns aneinander und wank-
ten durch die Stadt zur Bäckerei.
Die Chefin erwartete uns schon im Hausgang.
„Wo seid ihr denn heute so lang, ihr solltet mir doch
meinen Glasschrank vom Wohnzimmer in den ersten
Stock transportieren.“ „Wird gleich gemacht, Chefin“,
entgegneten wir und in unserer Bierlaune gingen wir
frisch an unseren Möbeltransport.
Als wir den Glasschrank anhoben, schwankte auch er
wie die Häuser draußen, und ganz treuherzig meinte die
Chefin: „Habt ihr was getrunken?“
Das sei der Schulstress, murmelten wir, sie nahm uns
das scheinbar ab und so brachten wir den Schrank doch
noch an den vorbestimmten Platz im ersten Stock.
Jetzt noch dieser blöde Sauerteig. In der Backstube
hängte sich der Fritz wie ein nasser Mehlsack an den
großen Sauerteigkessel und kommandierte:
„Wasser her, Hefe hinein und dann das Roggenmehl.“
Ich schaffte das alles noch im Unterbewusstsein, und
dass es dann doch noch ein Sauerteig wurde, verdankten
wir unserem untrüglichen Bäckerinstinkt. Anschließend
verschwanden wir eilig in unser Dachkämmerchen.