Seite 87 - Bruggbeckle

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schauten auf unsere Armbanduhren, die wir von un-
seren Firmpaten bekommen hatten, und es war genau
7.30 Uhr.
Der Ernst dengelte den ersten Haken in einen feinen
Riss der Felswand, probierte auf Zug und er hielt. So
ging es dann weiter, er schlug einen Haken nach dem
anderen, hängte das Seil mit seinem Karabiner ein und
rief nach unten „Zug“. Ich zog ihn bis zum Haken und
kletterte nach und er schlug schon den nächsten in die
Wand. Der Nachkletterer muss dann die Haken mit sei-
nem Hammer wieder herausschlagen und dem Vorklet-
terer zureichen.
Jetzt sahen wir, dass sich unten im Latschenfeld noch
eine Zweierseilschaft auf den Gipfelsturm vorbereite-
te. Es waren die Tremondi Brüder, zwei kraftstrotzende
athletische Himmelsstürmer, und nach kurzer Zeit ka-
men sie uns immer näher. Wir kannten ihre Kletterküns-
te und wunderten uns nicht, dass sie uns auf halbem
Weg schon überholten.
Bergsteiger können mit wenig Worten viel ausdrücken
und jetzt hörten wir schon den Zuruf: „So, dir Rufar“,
das heißt so viel wie „ihr langsamen Murxer“. Diesen
Zuruf ließen wir uns gern gefallen, denn wir setzten al-
les auf Sicherheit und unter Zeitdruck darf ein Klette-
rer sowieso nicht stehen.
Als sie uns dann schon eine Seillänge voraus waren,
hörten wir plötzlich einen Aufschrei. Ein Haken hatte
sich bei ihnen gelöst und einer sauste an uns vorbei und
blieb fünfzehn Meter weiter unten im Seil hängen! Er
war aber nicht verletzt und erholte sich rasch. Jetzt wa-
ren wir an der Reihe und ganz lapidar, mit Freude im
Unterton, rief der Ernst hinunter: „So, dir Rufar!“
So gegen 11 Uhr erreichten wir den Säulinggipfel und
jetzt übermannte uns ein unvergleichliches Glücksge-
fühl, wir umarmten das Säulingkreuz und setzten uns
dann auf die Felsen und genossen den überwältigenden
Rundblick auf das Alpenvorland. Jetzt noch ein kleiner
Imbiss aus dem Rucksack, dann stopften wir das kost-
bare Bergseil und die übrig gebliebenen Haken hinein.
Der Rucksack war aber in einer unglücklichen Steillage
abgestellt und fing zu rollen an! Er hüpfte über die Süd-
wand hinaus und verschwand nach einigen Aufschlägen
zweihundert Meter tiefer im Latschenfeld. Jetzt hatten
wir ungewollterweise diesen Ballast auch noch los.
Wir sprangen wie die Gemsen, nur mit Lederhose,
Hemd und Turnschuhen bekleidet, auf der weniger
gefährlichen Nordseite bergab. Von Hohenschwangau
aus marschierten wir dann in Richtung Füssen. Am
Schwansee erblickten wir noch einige Badegäste und
jetzt hielt uns nichts mehr davon ab, zur Abkühlung im
Schwansee noch ein paar Runden zu schwimmen. Als
wir mit unseren Unterhosen mitten im See schwammen,
bemerkten wir, dass sich am Ufer jemand an unseren
Lederhosen zu schaffen machte. Mit vollen Zügen ru-
derten wir jetzt zurück und als wir unsere Hosentaschen
untersuchten, fehlten unsere Firmungsuhren, die Ta-
schenmesser und die bereits leeren Geldbeutel.
Bergauf ist einem jedes Gramm, das man mitschleppen
muss, zu viel. Doch auf dem Heimweg noch diese Er-
leichterung war weniger erfreulich. Trotzdem, Jammern
half jetzt nichts, die Backstube rief.
Es war Sonntagabend, wir trudelten völlig erschöpft und
ein wenig gereizt in unsere Backstube. Ich heizte mit ein
paar Eimern Briketts den Backofen auf und bevor wir
dann in unser Dachkämmerchen verschwanden, schrie
der Ernst in gewohntem Kommandoton: „Los, bring
schnell Wasser, Hefe und Roggenmehl!“ Und dann
rührte er mit letzter Kraft noch den Sauerteig für den
nächsten Tag an.