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Das Meisterstück
Bei jedem Handwerker ist die Meisterprüfung der krö-
nende Abschluss der Ausbildung. Es ist nicht ganz ein-
fach, denn voraus gehen drei harte Lehrjahre, dann fünf
Gesellenjahre, und wenn man jetzt den Vater oder On-
kel im Betrieb ablösen soll, ist es wichtig, dass man die
Meisterprüfung mit Erfolg besteht.
Damals, im Jahre 1955, meldete ich mich in der Bäcker-
fachschule in Lochham bei München zur Prüfung an.
Der Meisterkurs dauerte zwei Monate, also Februar und
März. Wir waren sechsunddreißig Anwärter und alles
junge und kräftige Bäckergesellen.
Damals kostete dieser Kurs mit Vollpension vierhundert
Mark, aber wenn man die nicht hat, sind es vierhundert
zu viel. Also lieh ich mir von meiner Mutter und meiner
Tante insgesamt zweihundert, hundert hatte ich ange-
spart und auf Anfrage erhielt ich noch hundert Mark
Zuschuss von der Bäckerinnung. Mit einem Bleistift und
drei linierten Heften wollte ich den ganzen Kurs bestrei-
ten und es war tatsächlich zu machen.
Es war für mich zunächst unbegreiflich, wie leichtfer-
tig die Münchener Bäckermeistersöhne mit dem Geld
umgingen, aber da sie schon mit Luxusautos zur Schule
kamen, war das nicht weiter verwunderlich.
Jede Woche veranstalteten wir in der nahe gelegenen
Gastwirtschaft ein Stiefeltrinken. Wir saßen alle an ei-
nem langen Tisch und ein Glasstiefel mit zwei Liter Bier
machte die Runde, und wer den letzten Schluck aus
diesem Stiefel schlürfte, musste den nächsten bezahlen.
Gott sei Dank, dieser Stiefel ging immer mit Füllung an
mir vorüber, denn ich hätte keinen bezahlen können.
Schon beim Beschnuppern des Stiefels war man von der
Alkoholwolke leicht benebelt. Dieser Abend war immer
lustig und man hielt durch bis zum Umfallen.
Den ganzen Vormittag verbrachten wir in der Lehr-
backstube und schlugen Kaisersemmeln bis zum Geht-
nicht-mehr.
Diese handgeschlagenen Kaisersemmeln sind ein
Kunstwerk und eine knusprige Delikatesse. Mein Lehr-
meister hatte es mir schon vor Jahren beigebracht, aber
wir sollten diese Kunst jetzt noch vervollkommnen, da-
mit wir etwas mehr könnten als der durchschnittliche
Bäckergeselle. Doch diesen Arbeitsaufwand könnte heu-
te niemand mehr bezahlen, daher gehören auch diese
einmaligen Spezialitäten der Vergangenheit an.
Mein Kollege Stumpf, ein phlegmatischer Franke,
machte mit mir allabendlich einen Spaziergang durch
den Lochhamer Forst, ein riesiges Waldgebiet, mit wun-
derschönen Villen. Auf einmal standen wir vor einem
hellblauen beheizten Swimmingpool, in dem gerade ein
nacktes Mädchen seine abendlichen Runden drehte.
Wir erstarrten bei diesem Anblick wie zwei Kaffernbüf-
fel, aber als sie uns gleich darauf erblickte, sprang sie